Kreisparteitag: Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert in Meppen
Meppen (EL) – „Demokratie braucht Demokraten“. In diesem „banalen Ausspruch“ stecke eine besondere Bedeutung, erläuterte der langjährige Präsident des Deutschen Bundestages und jetzige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, Prof. Dr. Norbert Lammert, in Meppen. Als Gast des Kreisparteitags der CDU im Kreisverband Meppen referierte der 75jährige CDU-Politiker über das 75jährige Bestehen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Genauso, wie Künstler zur Kunst, Mediziner zur Medizin oder Wissenschaftler zur Wissenschaft gehörten, sei eine Demokratie ohne Demokraten nicht denkbar, meinte der ehemalige Bundestagspräsident, der etwa 40 Minuten ohne jegliches Redemanuskript über das Thema referierte.
Das Grungesetz der Bundesrepublik gehöre zu den ältesten Verfassungen der Welt, erklärte Lammert. Während Großbritannien gar keine Verfassung habe, sei die amerikanische Verfassung die älteste der Welt. Die Demokratie in Deutschland halte der Referent aber für die stabilere gegenüber der Demokratie in den Vereinigten Staaten.
Dabei sei der Begriff „Demokratie“ durchaus „beliebig“, so Lammert. Ein Mindestanspruch einer ernsthaften Demokratie sei die verlässliche Aussicht, von wem man schließlich regiert werde. Wahlen machten nur Sinn, wenn es auch Alternativen gebe. Ferner nannte Lammert die Meinungs- und Pressefreiheit, die künstlerische Freiheit, eine unabhängige Justiz und individuelle Grundrechte sowie deren Einklagbarkeit als Grundlage für eine ernstzunehmende Demokratie.
Laut britischen Forschungen werden in einem im Jahr 2022 veröffentlichten Ranking lediglich 24 „ernstzunehmende Demokratien weltweit“ aufgeführt. Diese Zahl sei geringer als die EU an Mitgliedern habe, gab der ehemalige Bundestagspräsident zu bedenken. Zudem sei die Zahl geringer als noch vor etwa 30 Jahren. In diesen 24 Staaten lebten weniger als acht Prozent der Weltbevölkerung.
Die Weimarer Verfassung und das heutige Grundgesetz seien sich sehr ähnlich, meinte der Referent. „Die Weimarer Verfassung ist kein weniger sinnvoller Text als das Grundgesetz“, meinte Lammert. Trotzdem habe sie die Folgen nicht verhindern können. „Die letzte Reichsregierung der Weimarer Republik ist nachweislich an der Unfähigkeit der Koalitionsparteien sich auf eine Höhe des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zu einigen gescheitert“, sagte Norbert Lammert und zog indirekt Parallelen zur heutigen Politik.
Oftmals seien politische Systeme durch Krieg und anschließenden Annexionen kollabiert. Ferner seien politische Systeme durch Bürgerkriege oder Militärputsche zerstört worden. In der jüngeren Vergangenheit haben aber immer öfter Wahlen politische Systeme gestürzt, warnte Norbert Lammert.
Dies treffe auch auf die Weimarer Republik zu. Der Beschluss des zuvor frei gewählten Parlaments zum Ermächtigungsgesetz hat die Macht des Parlaments auf die Regierung übertragen und schließlich das Ende der Republik herbeigeführt.
Lammert warnte davor, die Demokratie als selbstverständlich anzusehen. Er zitierte den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der einst gesagt hatte: „Die Demokratie ist am meisten gefährdet, wenn die Menschen sie als selbstverständlich ansehen.“
Als Beispiel für eine Gefahr für die Demokratie führte der Referent das Verhalten des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump an. Das Nichtanerkennen eines Wahlergebnisses und der Aufruf das Parlament zu stürmen erschien bis dato „fern jeder Realität“. „Was nachweislich stattgefunden hat, kann offenkundig stattfinden“, meinte Lammert.
Die Deutschen könnten mit Stolz auf 75 Jahre Grundgesetz zurückblicken. Es gelte aber auch die Herausforderung zu sehen und die Demokratie zu schützen. In der 1000jährigen Geschichte Deutschlands habe es gerade mal 14 Jahre Demokratie in der Weimarer Republik und 75 Jahre Demokratie in der Bundesrepublik gegeben. Lammert fügte hinzu: „Die Demokratie ist nicht ein Normalzustand, sondern ein Ausnahmenzustand einer Gesellschaft.“
Auch wenn Parteien heute einen „lausigen Ruf“ hätten, gibt es keine Demokratie ohne funktionierende Parteien. Leider würden sich „überschaubar wenige“ in der Rolle als Staatsbürger in Parteien engagieren, sagte der Bundestagspräsident a.D. und rief zu einem stärkeren Engagement in diesen auf.
Anhand von Mitgliederzahlen machte er den großen Mitgliederschwund der Parteien deutlich und zog einen interessanten Vergleich. Im November 1989 gab es in Westdeutschland etwa 2,5 Millionen Mitglieder in Parteien bei etwa 63 Millionen Einwohnern. Diese Zahl sei schon „übersichtlich“. Heute engagierten sich bei etwa 83 Millionen Einwohnern nur noch 1,2 Millionen Staatsbürger in einer Partei.
Er zeigte Verständnis für den Vertrauensverlust in Institutionen, Banken, Sportverbänden und den Parteien. Der Referent nannte ein interessantes Beispiel. Trotz der Skandale im Zusammenhang mit manipulierten Tests sei die Anzahl der ADAC Mitglieder von zurzeit der Skandale bei etwa 19 Millionen auf heute nunmehr etwa 21 Millionen angestiegen. Dies sei schon bemerkenswert. Schmunzelnd fragte der Referent in die Runde: „Ist dem deutschen das Auto lieber als die Demokratie?“
Abschließend zog der Bundestagspräsident a.D. zwei Fazits: Deutschland könne sich seit 75 Jahren zur „glücklichen Minderheit“ auf diesen Globus mit einer funktionierenden Demokratie zählen. Politische Systeme seien jedoch sterbliche Gebilde, die es immer wieder zu schützen gelte.